Angesichts der seit Jahren massiv eingeschränkten Marktverfügbarkeit zahlreicher eigentlich zugelassener Kombinationsimpfstoffe und der ohnehin ständig geringer werdenden Auswahl an Impfstoff-Kombinationen entscheiden sich viele Eltern, ihre Kinder mit für diesen Zweck eigentlich nicht zugelassenen Impfstoffen grundimmunisieren zu lassen - ein Vorgehen, das sich bei entsprechender Aufklärung durch die Kinderärztin/den Kinderarzt vollständig im Einklang mit dem deutschen Arzneimittelrecht befindet, ist hier doch die Anwendung von Medikamenten außerhalb ihrer eigentlichen Zulassung ausdrücklich erlaubt (Arzneimittelbrief 2008).

Ironischerweise ist dieser so genannte "off-label-use", also der Gebrauch von Arzneimitteln außerhalb ihrer eigentlichen Zulassung, gerade in der Pädiatrie so häufig, wie in kaum einem anderen medizinischen Fachgebiet (eine Studie aus Deutschland fand heraus, dass 30% der verwendeten Arzneimittel bei Kindern und Jugendlichen "off-label" angewendet werden (Knopf 2013)) - der Wunsch von Eltern an Kinderärztinnen und Kinderärzte nach einem off-label-Einsatz von Impfstoffen stößt jedoch in der Regel auf unüberwindliche Schwierigkeiten.

Da die hierfür verwendeten Auffrisch-Impfstoffe einen deutlich geringeren Wirkstoffgehalt speziell der Tetanus- und Diphtherie-Komponente aufweisen, bleibt für diese Eltern immer eine Rest-Unsicherheit, ob mit den enthaltenen Wirkstoffkonzentrationen ein ausreichender Schutzeffekt für die Kinder erreicht wird. Speziell bei Tetanus- und Diphtherie-Impfungen besteht jedoch eine enge Korrelation zwischen den im Blut nach der Impfung gemessenen Antikörperspiegeln und dem dann tatsächlichen Schutz (BAG 2012), so dass eine Blutentnahme mit Titerbestimmung nach dem Abschluss der Grundimmunisierung hier Sicherheit geben kann.

Die entscheidende Frage bei diesem Vorgehen ist demnach, ob und wenn ja ab welchem Alter ein Impfbeginn mit diesen Impfstoffen einen ausreichenden Impfschutz gewährt und ob dieser - wie die von der STIKO empfohlene Strategie - für mindestens 5 Jahre Schutz gewährt (denn die STIKO empfiehlt eine Auffrischung im Alter von sechs bis sieben Jahren). Daher beschränken sich die unten aufgeführten graphischen Darstellungen auf diesen Aspekt: wann wurde das betreffende Kind erstmals mit welchem Ergebnis geimpft; und daher wurden Titerbestimmungen, die mehr als 60 Monate nach der letzten Impfung stattfanden, nicht einbezogen.

 

Da großangelegte Studien zur Grundimmunisierung mit diesen Auffrischimpfstoffen speziell im Säuglingsalter fehlen, habe ich meine Erfahrungen mit diesen Impfstoffen im Folgenden ausgewertet. Zu diesem Zweck hat mir mein Labor (Amedes, München) sämtliche von mir veranlassten Titer-Bestimmungen für Tetanus- und Diphtherie-AK von Oktober 2011 bis einschließlich Juni 2017 zusammengestellt - 1340 Titerwerte, die - da die Bestimmung von mir immer gemeinsam veranlasst wird - 670 Patienten entsprechen. Viele dieser Titerbestimmungen dienten jedoch nicht der Kontrolle einer "off-label"-Grundimmunisierung, sondern z.B. einer "normalen" Titerkontrolle vor fraglich notwendiger Auffrischung.

Wenn ich auf Wunsch der Eltern hin Td- oder Td-Polio-Impfstoffe "off-label" zur Grundimmunisierung anwende, ist das "typische" Vorgehen

  • ein Impfbeginn nach dem sechsten Lebensmonat

  • ein "klassisches" 2 + 1-Schema (Abstand zwischen der ersten und der zweiten Impfung ≥ 6 Wochen, zwischen der zweiten und der dritten Impfung ≥ 6 Monate)

  • Titerkontrolle mindestens 2 Monate nach der letzten Impfung

 

Für die oben genannte Fragestellung nach der Wirksamkeit dieser Grundimmunisierung habe ich die Auswertung beschränkt auf Patienten,

  • die - ohne vorherige andere Tetanus- oder Diphtherie-haltige Impfstoffe erhalten zu haben - in meiner Praxis mit Td- oder Td-Polio-Impfstoffen grundimmunisiert wurden

  • deren Grundimmunisierung von mir mit drei Impfdosen durchgeführt wurde

  • deren Titerkontrolle eben in meinem Labor von mir veranlasst wurde

  • deren Titerkontrolle maximal 60 Monate nach der dritten Impfung erfolgte

Vor allem durch die letzten beiden Einschränkungen wurde die Zahl der auszuwertenden Patienten drastisch eingeschränkt, da viele meiner Patienten die Titerkontrolle in anderen Arztpraxen und/oder (entgegen meinem Rat) später als nach 60 Monaten durchführen ließen.

Insgesamt erfüllten im genannten Zeitraum 159 Kinder die aufgeführten Kriterien.

 

Tetanus

Der Wirkstoffgehalt der verwendeten Impfstoffe (in der Regel Revaxis® oder Td-Rix®, seltener Td-Virelon® oder Td-pur®) liegt mit 20 IE unter dem der üblicherweise für die Grundimmunisierung zugelassenen Impfstoffe (40 IE).

In Übereinstimmung mit den Angaben WHO (WHO 2006) definiert Amedes bei Verwendung des so genannten EIA-Bestimmungsverfahrens einen Impfschutz bei Titerwerten ≥ 0,1 IE/ml.

Ergebnisse:

  • nur bei einem der untersuchten Kinder konnten keine Antikörper nachgewiesen werden - hier hatte die Grundimmunisierung im Alter von 12 Monaten begonnen, die Titerkontrolle war mit 57 Monaten nach der dritten Impfung grenzwertig spät.

  • 150/159 (94%) der untersuchten Kinder hatten AK-Titer ≥ 0,5 IE/ml waren also sicher geschützt.

  • die détailierten Ergebnisse finden sich in der Graphik, wobei aus Gründen der Darstellung Werte über 5,0 IE/ml (die Amedes nicht weiter differenziert) pauschal auf 5,1 gesetzt wurden.

  • in zahlreichen Fällen (aus genannten Gründen nicht in der Auswertung/Graphik) waren schützende AK-Titer auch noch 80, 90 oder 100 Monate nach Ende der Grundimmunisierung messbar.

 Tetanus off label

 

Diphtherie

Der Wirkstoffgehalt der verwendeten Impfstoffe (in der Regel Revaxis® oder Td-Rix®, seltener Td-Virelon® oder Td-pur®) liegt mit 2 IE deutlich unter dem der üblicherweise für die Grundimmunisierung zugelassenen Impfstoffe (20 IE).

Die WHO geht bei Diphtherie von einem Basis-Schutz ab Werten von 0,01 IE/ml aus (WHO 2009), Werte über 0,1 IE/ml schützen sicher und langfristig. Amedes differenziert jedoch Werte unter 0,1 IE/ml nicht weiter.

Ergebnisse:

  • bei 9/159 untersuchten Kindern konnten keine Antikörper nachgewiesen werden (6%) - bei sehr unterschiedlichem Abstand zwischen der jeweils letzten Impfung und der Titerkontrolle

  • dies heißt im Umkehrschluss, dass 94% der untersuchten Kinder nach Abschluss der Grundimmunisierung einen Impfschutz aufwiesen

  • die détailierten Ergebnisse finden sich in der Graphik, wobei aus Gründen der Darstellung Werte über 1,0 IE/ml (die Amedes nicht weiter differenziert) pauschal auf 1,1, Werte unter 0,1 IE/ml auf 0,05 gesetzt wurden.

  • in zahlreichen Fällen (aus genannten Gründen nicht in der Auswertung/Graphik) waren schützende AK-Titer auch noch 80, 90 oder 100 Monate nach Ende der Grundimmunisierung messbar, wenn auch in geringerem Maße als bei der Untersuchung der Tetanus-AK.

 Diphtherie off label

 

Fazit

Auch wenn diese Daten streng genommen keine wissenschaftliche Studie darstellen, unterstützen sie doch das den Eltern angebotene Vorgehen - wichtig bleibt, gerade auch, wenn es auf den zuverlässigen Diphtherie-Impfschutz ankommt, die Titerkontrolle nach Abschluss der Grundimmunisierung. Die erreichten Immunisierungsraten bleiben nicht hinter denen zurück, die in aktuellen Zulassungsstudien von Impfstoffen als ausreichend angesehen werden.

 

Literatur

Arzneimittelbrief. AMB 2008, 42, 81. Abruf 02.07.2017

BAG. Bulletin 21, 21. März 2012, aktualisiert 2014. Abruf 02.07.17

Knopf H. BMC Public Health. 2013; 13: 631. Abruf 02.07.2017

WHO. The immunological basis for immunization series - Tetanus. 2018. Abruf 04.02.2024

WHO. The immunological basis for immunization series - Diphtheria. 2009. Abruf 04.02.2024