Gegen wenige Erreger ist die Impstoff-Entwicklung derzeit so in Bewegung, wie gegen RSV.

Die Entwicklung von RSV-Impfstoffen steht für eine der größten Katastrophen der Impfstoff-Entwicklung: ein in den 1960er-Jahren entwickelter, Formaldehyd-inaktivierter RSV-Impfstoff (FI-RSV) zur aktiven Immunisierung vermittelte nicht nur keinen Schutz vor der Infektion mit dem RSV, es kam zusätzlich zu einer dramatischen Zunahme schwerer und schwerster RSV-Verläufe vor allem bei den Geimpften, die vorher keinen Wild-RSV-Kontakt hatten und von denen teilweise 80% im Krankenhaus behandelt werden mussten (im Vergleich zu 5% der Kontrollgruppe). Mindestens zwei Kinder starben im Rahmen dieser Studien, bei beiden konnte RSV in den unteren Atemwegen nachgewiesen werden. "The mechanisms responsible for the FI-RSV vaccine-associated disease enhancement are still not completely understood.“ (Karron 2018)

Einer der Erklärungsansätze ist das Entwickeln unzureichend neutralisierender Serum-Antikörper und das Fehlen schützender Schleimhaut-Antikörper (denen bei RSV eine große Bedeutung zukommt - s. RSV - Die Erkrankungen) nach der Impfung.

Daher verfolgt die Entwicklung von Impfstoffen zu aktiven Immunisierung, die direkt bei Säuglingen und Kleinkindern als der am stärksten durch schwere Krankheitsverläufe gefährdeten Gruppen, angewendet werden sollen, derzeit vor allem Ansätze mit Lebend- oder Vektorimpfstoffen.

Palivizumab

Palivizumab enthält monoklonale Antikörper gegen das F-Oberflächenprotein von RSV (das verglichen mit dem G-Protein eine deutlich höhere (anti-)genetische Stabilität aufweist).

Die zur Zulassung führenden Studien an Frühgeborenen mit relevanter Lungenvorschädigung und/oder angeborenen Herzfehlern zeigten zwar eine Verringerung der Hospitalisierungsrate, aber keinen Einfluss auf den Schweregrad der Krankheitsverläufe oder die Sterblichkeit (DGPI 2018).

Die Deutsche Gesellschaft für pädiatrische Infektiologie empfiehlt daher in einer Leitlinie aus dem Jahr 2018 (die 2023 überarbeitet wird) den Einsatz nur für definierte Risikogruppen wie extreme Frühgeborene oder Früh- und Neugeborene mit pulmonalen und/oder kardialen Risikofaktoren (AWMF 2018).

Im Falle einer Prophylaxe sollte lt. DGPI die erste Dosis zu "Saisonbeginn" Anfang November und weitere Dosen dann im Abstand von jeweils 4 Wochen verabreicht werden.

Motavizumab

Eine Weiterentwicklung von Palivizumab, der monoklonale Antikörper Motavizumab, der in klinischen Studien eine teilweise höhere Wirksamkeit als Palivizumab zeigte, wurde von der FDA wegen vermehrt auftretender Nebenwirkungen nicht zugelassen (AWMF 2018).

Nirsevimab

Im Herbst 2022 ließ die EMA Nirsevimab (Beyfortus®) zur Prophylaxe von RSV-Infektionen bei Neugeborenen und Kindern in ihrer ersten RSV-Saison zu. Anders als bei Palivizumab ist hier also eine Anwendung bei allen Neugeborenen und Säuglingen - nicht nur bei Hochrisikokindern - vorgesehen.

Auch Nirsevimab ist ein monoklonaler Antikörper, der mittels rekombinanter DNA-Technologie aus Hamster-Eierstöcken gewonnen wird und der - wie Palivizumab - an das F-Protein des RSV bindet, wodurch das Eindringen freier Virionen in die Zellen sowie die Ausbreitung des zellassoziierten Virus durch Zellfusion verhindert wird (PZ 2022).

Der wesentliche Vorteil von Nirsevimab liegt in seiner deutlich längeren Wirksamkeit: eine intramuskuläre Injektion wird als ausreichend schützend für die erste RSV-Saison angesehen. Daten zu Sicherheit und Wirksamkeit von Wiederholungsinjektionen liegen nicht vor (EMA 2022).

Die häufigste Nebenwirkung sind mit fast 1% Hautausschläge innerhalb der ersten 14 Tage nach der Impfung (die waren auch bei Motavizumab aufgetreten) und Fieberreaktionen bei 0,5% der Geimpften.

In der mittlerweile von den Herstellerfirmen Sanofi und AstraZeneca als "Correspondence" veröffentlichten Endauswertung der MELODY-Zulassungsstudie (Muller 2023) wird die (relative) Impf-Effektivität innerhalb der ersten 150 Tage nach Impfung angegeben mit 76,8% zum Verhindern von RSV-Infektionen der unteren Atemwege (LRTI), 78,6% bezüglich schwerer LRTI. Den Herstellerangaben zu Folge müssten (nur) 53 Kinder geimpft werden, um eine Krankenhausaufnahme wegen LRTI jedweder Ursache zu verhindern, das 95%-Vertrauensintervall von 29,4 bis 250 führt diesen Wert jedoch ad absurdum. Rohdaten zum Überprüfen dieser Angaben sind bis jetzt (07.04.2023) nicht veröffentlicht.

Übersicht

Eine systematische Übersichtsarbeit und Metaanalyse zur Prophylaxe von RSV-Infektionen durch monoklonale Antikörper konnte sowohl für Palivizumab, als auch für Nirsevimab eine signifikante Verringerung von RSV-Infektionen, Hospitalisierungen und intensivmedizinischer Behandlungsnotwendigkeit nachweisen (mit in dieser Reihenfolge sinkender Verlässlichkeit der wissenschaftlichen Evidenz). Unterschiede in der Wirksamkeit zwischen Palivizumab und Nirsevimab sind nicht signifikant (Sun 2023).

Nach dem Desaster um Formaldehyd-inaktivierte RSV-Impfstoffe bei Kindern fokussierte sich die Impfstoff-Entwicklung lange auf Impfstoffe für ältere Erwachsene (die ebenfalls durch schwerere RSV-Verläufe gefährdet sind aber in ihrem Leben schon eine vorbestehende Immunität aufgebaut haben) und Schwangere (die ebenfalls eine vorbestehende Immunität gegen RSV aufweisen und nach der Impfung ihren Neugeborenen einen Nestschutz gegen RSV-Infektionen vermitteln sollen).

Eine gute und aktuelle (Januar 2023) Übersicht findet sich hier (Quelle im Bild (Path 2023) - die beiden Präparate zur Immunoprophylaxe sind oben besprochen):

RSVPreF3 OA (GSK)

Proteinbasierter Impfstoff mit ASO1 (Wirkverstärker auf Lipid/Saponin-Basis) als Adjuvans.

Die Zwischenauswertung einer Phase III-Studie mit insgesamt 26.000 Teilnehmern über 60 Jahre ergab eine Impfstoff-Effektivität (relative Risikoreduktion RRR) von 82,6% für das Verhindern einer bestätigten RSV-Infektion der unteren Atemwege über 6,7 Monate Beobachtungszeit. Die absolute Risikoverringerung ARR betrug 0,26%, die Anzahl der Menschen, die geimpft werden müssen um im Beobachtungszeitraum einen solchen Erkrankungsfall zu verhindern betrug 379 (NNV) (Papi 2023).

Wie der oben gezeigten Übersicht gut zu entnehmen ist, wurde der Studienarm, der die Verwendung dieses Impfstoffs bei Schwangeren untersuchte, abgebrochen, da es zu einer signifikanten Zunahme des Frühgeburtlichkeitsrisikos kam (GSK 2022)

 
RSVpreF (Pfizer)

Zu diesem Impfstoff wurden während der Corona-Pandemie zwei Zulassungsstudien durchgeführt, deren (Zwischen-) Ergebnisse mittlerweile veröffentlicht wurden

Impfung älterer Erwachsener (RENOIR-Studie)

Diese große (n=35.000) Studie der Hersteller-Firma Pfizer (Walsh 2023) untersuchte die Wirksamkeit des Impfstoffs an über 60-Jährigen. Die Impfstoff-Effektivität bezogen auf das Verhindern von Erkrankungen der unteren Atemwege betrug je nach Definition 66,7% bzw. 85,7% bei allerdings jeweils sehr großen Vertrauensbereichen. Trotz ihrer Größe konnte die Studie keinen sicheren Effekt auf die eigentlich entscheidende Zielgröße, nämlich schwere Verläufe dieser Erkrankungen oder Todesfälle an RSV-Infektionen nachweisen (Karron 2023).

Auch wenn die reine Häufigkeit schwerer Nebenwirkungen in der Impfstoff- und Placebogruppe in der gleichen Größenordnung lagen, irritiert, dass in der Impfstoff-Gruppe zwei Fälle schwerer neurologischer Nebenwirkungen (je ein Guillain-Barré- und ein Miller-Fisher-Syndrom innerhalb von maximal 8 Tagen nach der Impfung) auftraten.

Impfung Schwangerer (MATISSE-Studie)

In dieser Studie (Kampmann 2023 - ebenfalls von Pfizer durchgeführt) wurde jeweils etwa 3600 Schwangere mit RSVpreF oder Placebo geimpft, untersucht wurde die Häufigkeit (schwerer) RSV-Infektionen der unteren Atemwege bei den Neugeborenen/jungen Säuglingen innerhalb der ersten 90 bzw. 180 Lebenstage.

Das primäre Studienziel - Verhindern von RSV-Infektionen der unteren Atemwege (LRTI) innerhalb der ersten 90 Lebenstage - wurde mit einer Impfstoff-Effektivität von nur 57,1% und einem unteren Wert des Vertrauensbereichs von 14,7% nicht erreicht. Das Risiko schwerer Verläufe dieser LRTI wurde im selben Zeitraum jedoch um 81,8% verringert, allerdings auch hier mit einem großen 99,5%-Vertrauensbereich von 40,6 - 96,3%. Wie immer sind dies Angaben zur relativen Risikoverringerung RRR - das absolute Risiko eines Kindes, in den ersten 90 Lebenstagen an einer schweren RSV-Infektion der unteren Atemwege zu erkranken wurde durch die Impfung von (gerundet) 0,93% auf 0,19% verringert, die absolute Risikoverringerung ARR beträgt mithin 0,76%. Um einen Fall einer schweren LRTI zu verhindern müssten nach diesen Zahlen 132 Schwangere geimpft werden (number needed to vaccinate NNV).

Im Mai 2023 erschien im renommierten British Medical Journal ein Aufruf namhafter Wissenschaftler, das Frühgeburtlichkeits-Risiko, das zum Studienabbruch beim GSK-Impfstoff geführt hatte, dringend genauer zu untersuchen: die beiden Impfstoffe seien einander pharmakologisch zu ähnlich, als dass dieses Risiko nicht auch beim Pfizer-Impfstoff erwartet werden müsse. "“I can’t really give you an idea as to why one would cause a problem and the other one wouldn’t,”, so eine Beraterin der US-amerikanischen CDC in dem Artikel. Tatsächlich war die Frühgeburtsrate beim Pfizer-Impfstoff sehr wohl erhöht im Vergleich zur Kontrollgruppe, dies war jedoch statistisch nicht signifikant. "Differences in preterm births are evident in Pfizer’s RSV trial. In adverse event tables for its phase 2 study, published in October 2022, Pfizer reported 3 out of 116 (2.6%) premature births in the placebo group and 6 out of 114 (5.3%) in the group that received the vaccine that was chosen as Pfizer’s final product." (Boytchev 2023).

Es ist bestimmt ein reiner Zufall, dass aus der aktuellen Version (Mai 2023) der oben genannten Übersicht (Januar 2023) die Tatsache des Studienabbruchs der GSK-Schwangeren-Studie entfernt wurde...

RSV Snapshot 04MAY2023 clinical stage

Andere Nebenwirkungen des Impfstoffs wurden über einen für Impfstudien ungewöhnlich langen Zeitraum erfasst: innerhalb von 6 Monaten traten bei den geimpften Frauen Nebenwirkungen abgesehen von Muskel- und Kopfschmerzen insgesamt nicht häufiger auf, als in der Kontrollgruppe. Auffallend waren jedoch in der Impfgruppe ein Fall einer schweren Autoimmunerkrankung (Lupus erythematodes) und ein Todesfall durch postpartale Blutung. Bei den Kindern wurden akute Diagnosen erfasst und zusätzlich chronische Diagnosen über einen Zeitraum von 12, im ersten Studienjahr sogar über 24 Monate. Auch hier gab es keine signifikanten Unterschiede. Allerdings wurde als Placebo nicht - wie in den wenigen guten Studien zur Impfstoffsicherheit - physiologische Kochsalzlösung verwendet, sondern der Impfstoff minus seines Wirkstoffs und minus des Aluminiumhydroxids, das in einigen RSVpreF-Zubereitungen enthalten ist.

Kampmann 2023

mrna-1345 (Moderna)

mRNA-Impfstoff, codiert das Prefusions F-Glycoprotein des RSV

Zu diesem Impfstoff liegen bis jetzt (28.04.2023) keine in medizinischen Fachjournalen veröffentlichten Studienergebnisse vor. Moderna behauptet in einer Pressemitteilung vom Januar 2023 eine Impfstoff-Effektivität (relative Risikoreduktion RRR) von 82 - 83% bei Älteren zum Verhindern einer RSV-Infektion der unteren Atemwege.

Die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA hat schon jetzt - vor irgendeiner peer-reviewten Veröffentlichung nachprüfbarer Studiendaten - ein beschleunigtes "fast-track"-Zulassungsverfahren (breakthrough therapy designation) zugesichert (moderna 2023).

 

Ad26.RSV.preF–RSV (Janssen)

Virusvektor-Impfstoff mit dem Adenovirus 26 als Vektorvirus, codiert ebenfalls für das Prefusion F-Glykoprotein.

Eine Veröffentlichung von Zwischenergebnissen einer Studie mit Älteren im NEJM vom Februar 2023 zeigte eine Impfstoff-Effektivität von 69,8 - 80% (also spürbar weniger als andere RSV-Impfstoff-Kandidaten), dafür war der Impfstoff aber deutlich schlechter verträglich: Nebenwirkungen traten bei den Geimpften deutlich häufiger auf als unter Placebo.

Mittlerweile hat Janssen mitgeteilt, sich aus dem RSV-Geschäft zurückzuziehen und die noch laufende Phase III-Studie abzubrechen... (Johnson&Johnson 2023).