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"Tetanusimpfung alle 10 Jahre auffrischen" gehört für Erwachsene - im Gegensatz zur Masernimpfung - zum medizinischen Allgemeinwissen und findet sich so ja auch seit jeher in den Empfehlungen der STIKO; dass diese Sicht bei weitem nicht alle europäischen Impfkommissionen so teilen, wissen die wenigsten, dass dies auch die WHO - nicht gerade als Hort einer impfskeptischen Haltung bekannt - nicht tut, weiß fast niemand mehr. Jetzt erhält die STIKO-Strategie einen deutlichen Dämpfer:
Weiterlesen: Mehr ist nicht mehr - Tetanus, die STIKO und die WHO
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- "In Deutschland wurden in den letzten Jahren unter 15 Erkrankungsfälle jährlich verzeichnet, überwiegend bei älteren Erwachsenen (vor 1970 waren es noch weit über 100 Erkrankungen). Die genaue Häufigkeit des Tetanus kann bei der gegenwärtigen Melderegelung nicht beurteilt werden, tödlich verlaufende Erkrankungsfälle werden über die Todesursachenstatistik erfasst." (RKI 2018).
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Da bei der überwiegenden Mehrzahl der Frauen in Deutschland bis in das mittlere Erwachsenenalter in Deutschland nach den Impfungen im Kindesalter ausreichende Antikörpertiter nachweisbar sind, kann in den meisten Fällen von einem Nestschutz für Säuglinge in der Regel mindestens bis zum 6. Lebensmonat ausgegangen werden - dies ist im Einzelfall natürlich abhängig vom Antikörpertiter der Mutter (Heininger 1999).
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In Deutschland wurden seit 2000 13 Kinder unter 15 Jahre stationär wegen Tetanus behandelt (GBE Bund 2022) - da Tetanus als Erkrankung immer einer vollstationären (sogar intensivmedizinischen) Behandlung bedarf, dürfte es hier keine relevante Untererfassung geben und damit dürfte dies der Zahl der aufgetretenen Fälle entsprechen (etwa 0,6 Fälle pro Jahr im Durchschnitt)
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bei etwa (!) 7% nicht gegen Tetanus geimpften Schulkindern (RKI 2021) und etwa 11,6 Millionen Kindern unter 15 Jahren in Deutschland (destatis 2022) sind in dieser Altersgruppe sehr grob orientierend (!) 800.000 Kinder unter 15 Jahre nicht gegen Wundstarrkrampf geimpft.
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In Deutschland wurden seit 2000 21 Todesfälle an Tetanus erfasst. Sofern Altersangaben vorlagen, betrafen sie Menschen jenseits des 80. Lebensjahres (GBE-Bund 2022).
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Einer niederländischen Untersuchung zufolge liegt heutzutage das Erkankungsrisiko für Ungeimpfte in westlichen Industrienationen bei ca. 1:300.000/Jahr, pro Verletzung bei 1:500.000 bis 1:2.000.000 (de Melker 2004).
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Clostridium tetani, weltweit verbreitetes Bakterium, v. a. im Magen-Darm-Trakt von Mensch und Tier und fäkalienverschmutzter Erde.
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Wächst und vermehrt sich unter anaeroben Bedingungen, d. h. unter Luftabschluss, und bildet mehrere Neurotoxine, d. h. für das Nervensystem giftige, krampfauslösende Substanzen.
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Das Tetanusbakterium ist bei manchen Menschen im Darm als Teil der natürlichen Kolonisierung nachweisbar (s. hier) - entgegen der Annahme älter Studien entsteht durch diese Besiedlung (anders als z.B. bei der Diphtherie) aber keine natürliche, antitoxische Immunität, weil die entscheidenden neutralisierenden Antikörper nicht gebildet werden (Borrow 2007).
- Über Verletzungen – diese müssen nicht sichtbar verschmutzt sein. Typische tetanusgefährdete Wunden sind z.B. Neugeborenen-Nabelstumpf (spielt in Deutschland i.d.R. keine Rolle), Stich, Splitter, Pfählung, Biss, Quetschung, Verbrennung, Erfrierung, Drogeninjektion. In einer vietnamesischen Untersuchung fanden sich vor allem folgende wahrscheinliche Ursachen der behandelten Fälle: Akupunktur, Ohrlochstechen, Pediküre (!), Mittelohrentzündung sowie Injektionen (Farrar 2000). In 13% (Seydi 2000) bis 25% (Farrar 2000) der Fälle fand sich keine offensichtliche Ursache/Eintrittspforte.
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Inkubationszeit 3 Tage bis 3 Wochen - je kürzer, desto schlechter ist die Prognose des Patienten. Je weiter die Eintrittspforte vom Gehirn entfernt ist, desto länger ist die Inkubationszeit.
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Es kommt zu zunehmenden Muskelkrämpfen, schließlich anfallsweise generalisierter Muskelstarre.
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Das Bewusstsein ist nicht betroffen.
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Die durchgemachte Erkrankung hinterlässt keine Immunität - dies wird auf die sehr geringen absoluten Mengen des Neurotoxins zurückgeführt (CDC 2015)
- Kehlkopfkrampf mit Atemstillstand, Lungenentzündungen, Knochenbrüche
- Letalität 10 - 20% unter den Bedingungen moderner Intensivmedizin (RKI 2010). Nach amerikanischen Untersuchungen beträgt die Letalität bei Personen unter 50 Jahren weniger als 5%.
- Wundversorgung, Simultanimpfung, Antibiotika.
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Intensivmedizinische Betreuung mit Muskelrelaxation, Narkose, Beatmung über längere Zeit.
Borrow R./WHO, Department of Immunization. 2007. Immunological basis for immunization: Molule 3 : Tetanus (update 2006). Geneva: World Health Organization
CDC. The Pink Book. Tetanus. (Abruf 20.02.2016)
gbe-bund.de. 2022. Diagnosedaten der Krankenhäuser und Sterbefälle Tetanus. Abruf 30.07.2022
de Melker, HE. Ned Tijdschr Geneeskd 2004b, 148(9): 429-433
Heininger U. Cons Infect. 1999
Farrar JJ. J Neurol Neurosurg Psychiatry 2000;69:292-301.
RKI. 2019. Epid Bull 49/2021
RKI. Ratgeber für Ärzte - Tetanus. Stand 2018. (Abruf 30.07.2022)
Seydi M. Dakar Med. 2000;45(1):5-7.
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- Aktive Immunisierung: 2 Impfdosen im Abstand von 4 - 8 Wochen, Auffrischung nach ca. 1 Jahr - so genanntes 2+1-Schema.
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Über die Notwendigkeit weiterer Auffrischungen im Kindes- geschweige denn Erwachsenenalter existieren weder gesicherte Daten, noch ein internationaler Konsens:
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die STIKO empfiehlt lebenslange Auffrischungen alle 5 - 10 Jahre, was bei einer durchschnittlichen Lebenserwartung von etwa 80 Jahren durchaus 15 bis 20 Impfdosen ergeben kann (davon 6 allein im Kindesalter).
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die WHO sieht eine lebenslange Immunität nach insgesamt 6 (WHO 2012), Großbritannien und Irland schon nach 5 (ECDC 2016) Tetanusimpfungen bis einschließlich des frühen Erwachsenenalter als gegeben an und empfehlen daher keine routinemäßigen Auffrischungen bei Älteren mehr.
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Die Empfehlung einer routinemäßigen Auffrischung der Tetanusimpfung "alle 10 Jahre" (wie von der STIKO formuliert) führt die WHO auf Erfahrungen mit dem völlig anders zubereiteten nicht-adsorbierten Vorgänger-Impfstoff zurück, die auf den modernen Impfstoff nicht übertragbar seien (Borrow 2007).
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Eine amerikanische Studie errechnet die Halbwertszeit der Antikörperspiegel (also die Zeitspanne, nach der sich die Höhe der Antikörperspiegel jeweils halbiert) von Tetanus mit 14, die für Diphtherie-Antikörper mit 27 Jahren und geht von einer mittleren Schutzdauer für 95% der Geimpften bei Tetanus mehr als 50 Jahre, bei Diphtherie für mehr als 30 Jahre nach der jeweils letzten Impfung aus (Hammarlund 2016). Die Autoren schlagen - in Übereinstimmung mit den WHO-Empfehlungen - nach abgeschlossener Grundimmunisierung im Kindesalter eine Auffrischimpfung mit Td-Impfstoff im Alter von etwa 30 und eine weitere im Alter von etwa 60 Jahren vor.
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Eine niederländische Studie errechnet aus einer sechsmaligen Impfung, von denen die letzte Gabe schon im achten Lebensjahr stattfindet, einen Schutz bis zum Alter von 90 Jahren (de Melker 1999).
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Das aktuelle Positionspapier der WHO empfiehlt eine Grundimmunisierung mit drei Dosen im Säuglingsalter, eine Gabe im zweiten Lebensjahr, und jeweils eine weitere im Kleinkindes- und Jugendlichen-Alter. Diese Strategie "will induce immunity that lasts through much of adulthood, thus protecting women through their childbearing years" (WHO 2017), führt in anderen Publikationen jedoch eine Grundimmunisierung mit nur drei Dosen innerhalb der ersten beiden Lebensjahre auf (Galazka 1993, entnommen bei Borrow 2007)
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Die WHO resümiert: "There is not enough evidence to compare the antibody levels for the duration of protection with specific tetanus vaccination schedules." (WHO 2017)
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Im Verletzungsfalle bei Ungeimpften Passivimpfung (Übertragung fertiger Antikörper, Schutzdauer ca. 6 Wochen)
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Niederländische Autoren kritisieren in einer Untersuchung die immensen Kosten, die durch die routinemäßige Passivimpfung nicht ausreichend Geschützter im Verletzungsfall entstehen: angesichts des ohnehin relativ geringen Risikos der Tetanusinfektion (s. Wundstarrkrampf - Die Erkrankung) und der geringen Sterblichkeit bei Patienten unter 50 Jahren müssten nach diesen Berechnungen 500.000 Ungeimpfte im Verletzungsfall passiv immunisiert werden, um rechnerisch einen einzigen Fall von Wundstarrkrampf zu verhindern. Die entstehenden Kosten von ca. € 100.000.000 pro verhindertem Todesfall sind in einem Gesundheitssystem mit begrenzten Ressourcen unverhältnismäßig hoch. Die Autoren empfehlen eine Passivimpfung nur bei Frauen über 55 Jahren bzw. Männern über 70 Jahren bei jeweils unklarem Impfstatus (de Melker 2004).
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Ein Wirksamkeitsnachweis im Sinne moderner Arzneimittel oder Impfstoffe fehlt.
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Nutzenbelege werden abgeleitet aus den Beobachtungen an Soldaten im Zweiten Weltkrieg, als geimpfte Soldaten signifikant seltener an Wundstarrkrampf erkrankten als noch im Ersten Weltkrieg (Long 1947, Boyd 1946)
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In einer randomisierten Studie aus den sechziger Jahren senkt die zweimalige Impfung von Frauen im gebärfähigen Alter das Wundstarrkrampfrisiko ihrer neugeborenen Kinder signifikant (Newell 1966)
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"In welchem Ausmaß die aktive Immunisierung gegen Tetanus zu dem in Industrieländern bereits ab Beginn des 20. Jahrhunderts beobachteten deutlichen Rückgang der Tetanusinzidenz und -mortalität beigetragen hat, ist schwer abschätzbar." (a-t 2016)
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"In der Bundesrepublik ging die Tetanusinzidenz von 0,2/100.000 im Jahr 1962 auf 0,02/ 100.000 1990 zurück. Ein Einfluss der 1974 von der Ständigen Impfkommission (STIKO) ausgesprochenen Empfehlung der Tetanusimpfung für Kinder ist nicht erkennbar, wie auch die 1961 in der DDR eingeführte Pflichtimpfung von Kindern und Jugendlichen keinen sichtbaren Effekt auf die Fallzahlen hatte." (at 2016)
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Allerdings gibt es in der Literatur Einzelfallberichte von Tetanuserkrankungen (teilweise mit tödlichem Ausgang) bei Patienten mit eigentlich als schützend angesehenen Antikörpertitern im Blut (Abrahamian 2000, Pryor 1997) - bei großen Toxinmengen können niedrige Antitoxin-Spiegel offenbar nicht ausreichend sein.
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Gesamthäufigkeit 3 - 13% (White 1983)
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Meist lokale Schwellung und Abszessbildung (Church 1985), aber auch schwere allergische und anaphylaktische Reaktionen. Erstere treten vor allem auf, wenn im Verletzungsfall bei noch hohem Antikörperspiegel die Impfung aufgefrischt wird (CDC 2015). Um diese Nebenwirkungen zu reduzieren fordern Fachleute, vor den routinemäßigen Auffrischimpfungen den Antikörpertiter im Serum und damit die Notwendigkeit der Impfung zu bestimmen (Relyveld 1998).
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Arthritis (13 Fälle innerhalb 15 Jahren in Deutschland, Korger 1986)
Abrahamian FM. J Emerg Med. 2000 Feb;18(2):189-93.
a-t. arznei-telegramm. 2016; 47: 17-20
Bolukbasi O. Eur Neurol 1999;41(4):231-2
Borrow R. 2007. Immunological basis for immunization: Molule 3 : Tetanus (update 2006). Geneva: World Health Organization
Boyd J. Lancet 1946; 1: 113-9
Cisse FA. Med Sante Trop. 2012 Jan-Mar;22(1):103-5.
Church JA. Pediatrcs 1985; 75:899-900
ECDC. Vaccine Schedules. (Abruf 20.02.2016)
Hammarlund E. Clin Infect Dis. 2016 May 1;62(9):1111-8. doi: 10.1093/cid/ciw066. Abruf 26.02.2017
Korger G. Klin Wochenschrift 1986; 64:767-775
Long A. Bull. U.S. Army Med. Dep. 1947; 7: 371-85
De Melker HE. Ned Tijdschr Geneeskd 2004b, 148(9): 429-33
De Melker HE. 1999. Vaccine.18(1–2):100–108.
Newell K. Bull. World Health Organ. 1966; 35: 863-71
Pryor T. J Fam Pract. 1997 Mar;44(3):299-303.
Relyveld EH. Vaccine 1998 May-Jun;16(9-10):1016-23
Whit WG. J of Hygiene 1983; 61:283-297
WHO. 2017. WER 92:53-76.
WHO. Fact sheet Tetanus. Stand 2012(Abruf 20.02.2016)