Die altehrwürdige Leopoldina, die "Nationale Akademie der Wissenschaften", ergänzt gemeinsam mit der "Akademie der Wissenschaften in Hamburg" die zahlreichen in Fachkreisen (außerhalb des Bundesgesundheitsministeriums BMG) kursierenden, überwiegend sinnvollen Vorschläge zum Steigern der Impfbereitschaft durch einen fast modern anmutenden: Sprachregulierung (Betsch 2019).

Am 27.06.2019 veröffentlichte die Leopoldina zeitgleich mit der in großen Teilen klugen Stellungnahme des Ethikrates unter dem Titel "Gemeinsam Schutz aufbauen" ein eigenes "Diskussionspapier" zur aktuellen Impfpflicht-Debatte.

Die Hauptautorin, Cornelia Betsch, weist hier ausführlich auf ihre eigenen Forschungsergebnisse hin, die nahelegen, dass die Einführung einer Teil-Impfpflicht (wie vom BMG aktuell geplant) die Gefahr in sich berge, dass die Bereitschaft zur Durchführung der anderen, dann nicht verpflichtenden Impfungen sinken könne (Betsch 2016).

Darüber hinaus kommen fast alle derzeit in Fachkreisen außerhalb des BMG diskutierten Vorschläge zur Sprache, die Durchimpfungsraten auch ohne eine Impfpflicht zu erhöhen: Erinnerungssysteme, niederschwellige Impfangebote, Stärkung des öffentlichen Gesundheitsdienstes etc. .

Als zentrales Problem der aktuellen Situation wird von der Leopoldina das in der Bevölkerung verloren gegangene Vertrauen in Schutzimpfung identifiziert und als Ursache dafür wird unter anderem die Sprache der Wissenschaft erkannt: offenbar nur vermeintlich neutrale Begriffe wie "Durchimpfungsrate", "Herdenimmunität" oder "Adjuvanzien" (also Impf-Zusatzstoffe) "wecken mitunter negative Assoziationen oder sind mit anderen, teils negativen Vorstellungen belegt" (Betsch 2019), daher müssten sie ersetzt bzw. "angepasst" werden.

Konkrete Vorschläge werden gleich geliefert, so schlagen die Autoren vor, "Herdenimmunität" durch "Gemeinschaftsschutz" und "Impfkomplikation" durch "über das übliche Maß hinausgehende Reaktion auf eine Impfung" zu ersetzen.

Ein genialer Vorschlag von buchstäblich atemberaubender Kraft:

   schon das Ersetzen des offenbar nur scheinbar harmlosen Wortes "Herdenimmunität" macht schlagartig jede eigenständige Auseinandersetzung mit oder Recherche zu dem Thema unmöglich - denn jede wissenschaftliche Veröffentlichung, von den ersten Arbeit Topleys 1923 bis heute benutzt natürlich den Begriff Herdenimmunität bzw. herd immunity.

   Besonders nachhaltig dürfte aber das Wegdefinieren von Impfkomplikationen dazu geeignet sein, Vertrauen in Impfungen und die offizielle Kommunikation darüber wieder herzustellen - wenn auch Todesfälle nach Impfungen (die es sehr, sehr selten gibt, z.B. starben in Deutschland nach Veröffentlichungen des Paul Ehrlich Instituts (PEI) 2014 zwei Kinder durch die Masernimpfung (Mentzer 2016)) nur noch eine "über das übliche Maß hinausgehende Reaktion auf eine Impfung" sind - was sollte Menschen dann noch davon abhalten, sich vertrauensvoll impfen zu lassen? Ironischerweise veröffentlichte das für die Impfstoffsicherheit in Deutschland zuständige PEI am selben Tag im aktuellen Bulletin zur Arzneimittelsicherheit einen ausführlichen Artikel unter dem Titel "Komplikationen nach Schutzimpfungen bei Kindern und Erwachsenen mit Hinweis auf einen kausalen Zusammenhang"... (PEI 2019) - offensichtlich fehlte es hier an der nötigen sprachlichen Feinabstimmung im Vorfeld.

Es braucht schon eine große Portion akademisch-elfenbeintürmerner Weltfremdheit, bei diesen, an Orwellsche Gedanken erinnernde Forderungen nicht zu bemerken, dass die Leopoldina hier Teil des von ihr beklagten Problems wird:

sind es doch genau diese, leicht zu durchschauenden Manipulationen, durch die die Impfdiskussion (von beiden "Seiten"!) vergiftet wird, die das Vertrauen in Schutzimpfungen insgesamt, aber auch in die (offizielle) Kommunikation darüber und in die Impfempfehlungen aussprechenden Organe wie die STIKO unterminieren.

 

Literatur

Betsch C. 2019. Gemeinsam Schutz aufbauen. Hamburg 2019.

Betsch C. 2016. The European Journal of Public Health. 26(3):378–81

Mentzer D. 2016. Daten zur Pharmakovigilanz von Impfstoffen aus dem Jahr 2014. Bulletin zur Arzneimittelsicherheit 2016 (2): 12-19. Abruf 01.07.2019

PEI. 2019. Bulletin zur Arzneimittelsicherheit 2/19. Abruf 01.07.2019

Topley WWC. 1923. J Hyg. 21:243-9.