Am 08.05.2015 erschien in der Süddeutschen Zeitung ein Artikel, der eine aktuell erschienene Studie (Mina 2015) zu den immunologischen Auswirkungen der Masernerkrankung zum Thema hat - im Folgenden ein hierauf bezogener Leserbrief vom 09.05..
Wissenschaftliche Studien sind so schwer zu lesen und zu verstehen und verführen so sehr dazu, sie zu instrumentalisieren, wenn sie gerade in den publizistischen main-stream einer masernhysterisierten Medienlandschaft zu passen scheinen...
Die dem SZ-Artikel zu Grunde liegende Studie von Mina ist eine rückblickende, epidemiologische Untersuchung, in der Daten, die ursprünglich zu völlig anderen Zwecken erhoben wurden (Masernhäufigkeit, Masernimpfraten und Sterblichkeit an Infektionskrankheiten) im Nachhinein („retrospektiv“) mit einander verknüpft werden im Versuch, Zusammenhänge aufzudecken – es ist dies die schwächste Form einer wissenschaftlichen Untersuchung, da solche Studien naturgemäß niemals unterscheiden können zwischen einem ursächlichen und einem zufälligen Zusammenhang; das wissen die Autoren der Studie auch, nur der Autorin des apodiktisch formulierten SZ-Artikels scheint dies nicht bewusst zu sein… mit dieser Art von Studien ließe sich z.B. auch spielend ein Zusammenhang untersuchen (und „nachweisen“) zwischen dem in vielen europäischen Ländern zu beobachtenden Rückgang der Zahl brütender Storchenpaare und dem zeitlich absolut parallelen Geburtenrückgang...
Nun gibt es zur Frage der immunologischen Auswirkungen der Masernerkrankung einige wissenschaftlich wesentlich aussagekräftigere Studien, die Daten gezielt unter dieser Fragestellung erhoben haben (diese so genannten „prospektiven“ Untersuchungen des dänischen renommierten Epidemiologen Aaby werden in der Mina-Studie sogar ausdrücklich erwähnt) und diese zeigten: keine langfristig negativen immunologischen Auswirkungen der Masernerkrankung, wohl aber einen bis heute nicht vollständig verstandenen, unspezifisch schützenden Effekt der Masernimpfung vor Todesfällen an anderen Infektionserkrankungen (und das ist überhaupt nicht das Gleiche!).
Dass Masern tiefgreifende immunologische Auswirkungen haben, ist unbestritten – das dazu z.B. ein vermindertes Allergierisiko noch mehr als 10 Jahre nach der Erkrankung gehört, hat die Autorin des SZ-Artikels in der von ihr rezensierten Studie wohl überlesen...
Solange wir zu den immunologischen Langzeiteffekten der Erkrankungen so wenig und zu denen der Impfungen praktisch gar nichts wissen, taugen Untersuchungen wie die besprochene in ihrer Komplexität und der Differenziertheit ihrer Ergebnisse kaum für den Versuch, sie als journalistische Schnellfeuermunition im ohnehin so polarisierten Disput über die Schutzimpfungen zu instrumentalisieren.
Dr. med. Steffen Rabe
Literatur
Mina MJ. Science 8 May 2015: Vol. 348 no. 6235 pp. (Abruf 09.05.2015)
Süddeutsche Zeitung vom 08.05.2015 (Abruf 09.05.2015)