Im Bayerischen Ärzteblatt (dem offiziellen Organ der Bayerischen Landesärztekammer) erschien im März 2024 ein Artikel zur FSME in Bayern (Chitimia-Dobler 2024), der eine kritische Auseinandersetzung in Form eines Leserbriefes erfordert.

Der détail- und kenntnisreiche Artikel der Kollegen Chitimia-Dobler und Dobler zur FSME in Bayern vergibt die Chance zu einer überfälligen kritischen Auseinandersetzung mit RKI und STIKO beim Thema FSME. Fragwürdige Definitionen und Empfehlungen werden hier kritiklos paraphrasiert, auch wenn die von den Autoren aufgeführten Fakten dem teilweise unübersehbar entgegenstehen.

Obwohl der Artikel auf die internationale Bedeutung der FSME ausführlich eingeht, wird die Definition eines "FSME-Risikogebietes" durch das RKI, von der das industrieunabhängige arznei-telegramm schon vor Jahren schrieb, sie "könnte aus den Marketingabteilungen der Hersteller von FSME-Impfstoffen stammen" (a-t 2007) kritiklos übernommen. Mit einer Inzidenzgrenze von 1 Fall pro 100.000 Einwohner in nur einem Fünfjahreszeitraum seit 2002 (RKI 2024) liegt diese Anforderung um Größenordnungen unter der z.B. der WHO (≥ 5 Fälle pro 100.000 Einwohner und einem Jahr) oder anderer internationaler Publikationen (z.B Heuverswyn 2023). Selbst wenn man die WHO-Definition großzügig anwendete (Inzidenz ≥ 5 in nur einem Jahr seit 2001), reduzierte dies die Zahl der Risikogebiete in Deutschland schlagartig auf weniger als ein Drittel (Rabe 2024a).

Zwei weitere gedankliche Prämissen der RKI-Definition werden im Artikel faktisch in Frage gestellt, ohne dass dies kritisch diskutiert würde: es ist dies zum einen die Hinzunahme benachbarter Landkreise in die Risikodefinition des RKI, ohne dass in diesen tatsächlich FSME-Fälle aufgetreten sein müssen - hier weisen die Autoren zu Recht auf die geographisch oft sehr kleinen Naturherde der FSME hin ("Fläche eines halben Fußballfeldes"), die diese willkürliche Ausweitung der Definition fragwürdig scheinen lassen. Zum anderen beruht die kontinuierliche Zunahme der RKI-Risikogebiete über die Jahre auch auf der Annahme, einmal vorhandene Naturherde seien sehr stabil und müssten - einmal nachgewiesen - für mindestens 20 Jahre angenommen werden. Das von Chitimia-Dobler dokumentierte weitgehende Verschwinden der FSME z.B. in Unterfranken hätte ein Anlass sein können, diese Annahme kritisch zu hinterfragen.

Diese sehr spezielle Definition des RKI führt in Bayern zu absurden Situationen: von 96 Landkreisen sind 94 als RKI-Risikogebiet ausgewiesen - davon gab es (Stand 2024) in 9 Landkreisen seit 5 Jahren, in 18 seit 10 Jahren und in 15 seit Beginn der Erfassung 2001 keine FSME-Fälle bei Kindern und Jugendlichen (mehr) (SurvStat@RKI 2024, graphisch bei Rabe 2024 b). Dessen ungeachtet gilt dort die STIKO-Empfehlung zur flächendeckenden FSME-Impfung.

Zuletzt machen sich die Autoren noch mit der international zunehmend isolierten Empfehlung der STIKO bezüglich der FSME-Auffrischimpfungen gemein: sie behaupten nach einer Grundimmunisierung einen Schutz von lediglich drei bis fünf Jahren und übernehmen damit - wie die STIKO - kritiklos die Angaben der Impfstoffhersteller. International wird hier seit Jahren von einer Schutzdauer von mindestens 10 Jahren ausgegangen (z.B. Schelling 2024).

Durch die unkritische Übernahme inflationärer Risiko-Definitionen des RKI und nicht evidenzbasierter (Auffrisch-)Impfempfehlungen der STIKO wird hier versäumt, den in der täglichen Praxis tätigen ärztlichen Kolleginnen und Kollegen tatsächliche und belastbare Evidenz für eine differenzierte Impfberatung zur FSME an die Hand zu geben. Angesichts des substantiellen Vertrauensverlustes, den Impfempfehlungen im Allgemeinen und RKI bzw. STIKO im Besonderen während der letzten Jahre in der Bevölkerung erlitten haben, ist diese vertane Chance besonders bedauerlich.